IT-Exporte aus Gaza

Unit One ICT exportiert Software- und IT-Dienstleistungen von Gaza in die ganze Welt. Die Geschäfte laufen immer besser, obwohl die wirtschaftlichen Bedingungen in dem winzigen Küstenstreifen seit zehn Jahren alles andere als erfolgsversprechend sind.

2005 war ich das erste Mal in Israel und im Westjordanland. Zu einer Zeit, als die Evakuierung des Gazastreifens kurz bevor stand, als die politische und militärische Situation wieder mal äußerst angespannt war und keiner wusste, welche Entwicklung das Land durchlaufen wird. Zu einer Zeit, als die wenigsten Palästinenser, die einen festen Job hatten, auf die Idee kamen, diesen an den Nagel zu hängen und sich selbstständig zu machen.

Saady Lozon aus Gaza war so ein „Verrückter“. Er arbeitete als IT-Contractor bei den Vereinten Nationen. Jobs bei internationalen Organisationen sind bei Palästinensern sehr gefragt. Sie versprechen überdurchschnittlich hohe Gehälter und sind oft die einzige Möglichkeit, eine Stelle zu finden, die ihren Qualifikationen für einen Beruf entspricht. Aber Lozon wollte unabhängig sein, seinen eigenen Weg gehen. Und – er suchte nach einer neuen Chance in seiner Heimat. In Gaza.

Gemeinsam mit seinem Freund Ahmed Abu Shaban, ebenfalls ein studierter Computerspezialist, gründete er das Start-up Unit One ICT. Ihr Büro: Ein winzig kleiner Raum, der gerade mal Platz für sie und ihre Computer bot. Die finanzielle Starthilfe kam von Freunden. Doch das Allerwichtigste: eine Internetverbindung und Skype.

Seitdem sind zehn Jahre vergangen. In einem Hochhaus in Gaza-Stadt erfüllten sich die beiden ihren Traum vom IT-Universum. Verteilt auf zwei Büros arbeiten heute über hundert Mitarbeiter: Programmierer, Entwickler, Designer, Marketing-Manager. Sie beraten und entwickeln IT-Systeme, Webseiten und Apps für mobile Endgeräte und das Internet. Auch das Outsourcing-Geschäft läuft immer besser. Aber nicht nur Palästinenser interessieren sich für die Produkte von Unit One ICT. Neben Unternehmen etwa aus Kuwait, Jordanien oder den Arabischen Emiraten überzeugte der tüchtige Geschäftsmann Lozon auch Kunden aus Amerika und Holland davon, mit ihm zu kooperieren.

Sie schaffen Jobs für Frauen in Gaza

Für Unit One ist das Outsourcing-Geschäft von großer Tragweite: Das Data-Entry ist vor allem bei jungen Frauen beliebt. Dass gerade Frauen und insbesondere Hochschulabsolventinnen in der IT-Branche ihre Chance auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz sehen, erzählt Lozon gern. Oft gebe es für sie anderswo keine Arbeit, egal ob sie einen Abschluss hätten oder nicht. Lozon nimmt die Sorgen der Menschen ernst. Und kümmert sich um die, die die Arbeitswelt vernachlässigt: Als Nächstes stellt er Arbeitnehmer ein, die eine Behinderung haben.

Nicht auf Hilfe von außen warten

Als ich Lozon nach der wirtschaftlichen Situation in Gaza frage, schildert er die Blockade, die seit neun Jahren Alltag im Gazastreifen ist. Ja, sie mache das Leben schwer, aber auf Hilfe von außen zu warten, davon wolle er nichts hören. Schließlich sei er mit alltäglichen Hindernissen und Hürden groß geworden und wisse damit umzugehen. Zum Beispiel mit dem Strom. Den gibt es in Gaza nur begrenzt. Um Ausfälle und Abstürze an den Rechnern zu minimieren, deckte sich seine Firma mit Generatoren und Treibstoff ein. „Als die Stromversorgung im Sommer 2014 während der israelischen Luftangriffe für längere Zeit unterbrochen war, konnten wir in unseren Büroräumen in Gaza Stadt weiterarbeiten“, berichtet er. Dennoch, der letzte Gaza-Krieg traf ihn und sein Unternehmen hart. Ausgerechnet eine geschäftliche Einladung in die USA, bei der es um neue Kunden und Aufträge gehen sollte, musste er absagen, weil die Grenzen nach Israel und Ägypten geschlossen waren.

Doch unterkriegen ließ sich der Palästinenser davon nicht. Im Gegenteil. Er und Shaban setzten alle Hebel in Bewegung, um zu zeigen, dass ihre Firma anderen IT-Nationen das Wasser reichen kann. “Wir können mithalten“, betonen beide immer wieder.

Die Blockade kann sie nicht stoppen

Mit ihren Anfang Dreißig sind die beiden Gründer Lozon und Shaban immer noch jung, aber ein Start-up, das ist ihre Firma schon lange nicht mehr. In Palästina sind sie unter ihresgleichen kein ungeschriebenes Blatt mehr. Ende November sind sie zum “Palestinian Exporter of the Year – 2015 IT Services Sector“ ausgezeichnet worden. Dass sie trotz Blockade Software und IT-Dienstleistungen von Gaza in die ganze Welt exportieren, macht sie stolz. Aber genauso stolz sind sie darauf, dass sie mit ihren eigenen Ressourcen etwas tun können, das der wirtschaftlichen Entwicklung Palästinas hilft.

Ihr Aufbegehren, ihre Art, sich selbst zu helfen, kommt in ihrer Firma gut an. Den Mitarbeitern geht es dabei um viel mehr als um Arbeit und Geld, es geht um Freiheit. Durch das Internet, sagen sie, haben sie einen Ort, ein Tor zur Welt. Vor allem solche Aussagen sind es, die die Gründer und Macher von Unit One weiter anspornen, zu expandieren und neue Jobs zu schaffen.

Unit One wird Gazas Probleme nicht verschwinden lassen. Aber den Gründern gelingt es, Hoffnung zu wecken. Und darauf kommt es ihnen an.

 

Ein Gedanke zu „IT-Exporte aus Gaza

  1. Endlich mal kein Wehklagen aus Palästina;Eigeninitiave ist der Schlüssel zu Unabhängigkeit und Freiheit.

Hinterlasse einen Kommentar zu Dr.Rüdiger Stumpf Antworten abbrechen