Solarzellen auf den Dächern von Gaza

Stromausfälle sind im Gazastreifen keine Ausnahme – sie gehören zum Alltag dazu. Das will Majd Mashharawi nicht mehr hinnehmen. Mit ihrem Startup „Sunbox“ versorgt sie die Einwohner Gazas mit Solarstrom, brütet über sozialen Finanzierungsmodellen. Und sie rüttelt die Menschen auf.

 

Im Gazastreifen gibt es pro Tag zwischen zwei und zwölf Stunden Strom. Ein paar Stunden mehr, wenn ein Generator mithilft. Um diesen zusätzlichen Strom zu erzeugen, mangelt es oft an Geld. „Bei uns in Gaza ist vieles begrenzt“, sagt Mashharawi, „aber nicht aus unserer Sicht.“ Sie und ihr Team scheinen es gerade nicht erwarten zu können, dass 500 georderte Solareinheiten bei ihnen ankommen. „Unsere neuen Kunden fragen täglich nach, wann sie ihre Solaranlage aufs Dach bekommen“, verrät mir die 28-jährige Unternehmerin.

Mashharawi baut ihr Unternehmen gerade auf. Sie beschäftigt sechs Angestellte. Besonders denjenigen Familien, denen das Geld für teure Solargeräte und Generatoren fehlt, will sie mit erschwinglicher Solarenergie zu mehr Strom verhelfen. Seit September 2018 hat Sunbox 70 Solareinheiten verkauft und installiert. Davon profitieren rund 500 Einwohner. „Die sind glücklich, weil sie jetzt selbst bestimmen können, wann und wofür sie den Strom nutzen wollen“, berichtet Mashharawi. Das Know-how für ihre Arbeit eignete sie sich durch ihr Studium der Ingenieurwissenschaften an, das sie in Gaza absolvierte.

 

Von Sonnenenergie haben viele noch nichts gehört

Sunbox bedeutet viel harte Arbeit. Längst sind viele der Armen in Lethargie verfallen. „Es ist frustrierend, wenn man abends im Dunkeln sitzt, der Kühlschrank ausfällt, kein warmes Wasser fließt oder man nicht telefonieren kann, weil der Akku leer ist“, weiß Mashharawi aus eigener Erfahrung. Um die Menschen aufzurütteln, fahren sie und ihr Team von einem Ort zum anderen, auch in entlegene Dörfer. „Wir sagen den Leuten: Ihr habt ein Recht auf Elektrizitätsversorgung. Aber vor allem zeigen wir ihnen, wie Solarpanels auf den Dächern für Strom sorgen sollen, denn viele von ihnen wissen weder, wie man sie installiert, noch haben sie jemals von Sonnenergie gehört“, erzählt Mashharawi.

 

Viel Unterstützung aus den USA für das Startup

Gründerin in Gaza sein heißt finanzielle Hürden meistern. „Wir hatten kein Geld. Deshalb nutzten wir jede Chance, die sich uns bot, um der Welt mitzuteilen, was wir vorhaben. Die meiste Unterstützung kam aus den USA. „Das war irre, plötzlich durfte ich in die USA reisen“, erzählt Mashharawi. Dort knüpfte sie Kontakte zu Geschäftsleuten und hielt viele Reden, sogar auf der „Ted Women 2018“ in Kalifornien. Gleichzeitig launchte Sunbox auf einer internationalen Plattform ein Crowdfunding. Das brachte dem Unternehmen 60 000 US Dollar ein.

Auch in Gaza suchten Mashharawi und ihr Team nach Unterstützung: „In der Gründungsphase taten wir uns mit hiesigen Geschäftsleuten zusammen und fragten, ob wir unsere Batterien in ihren Läden ausstellen dürfen. Die Leute kamen auf uns zu und interessierten sich für uns. Wir begriffen schnell, dass es einfacher ist, der Konkurrenz die Hand zu reichen als sie zu bekämpfen“, sagt sie über diese Zeit.

Dieses Vorgehen kommt Mashharawi auch an anderer Stelle zugute: an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen. Um die Solarpanels, Batterien und Stromkästen, die sie aus China beziehen, durch die israelischen Grenzkontrollen nach Gaza zu bekommen, brauchte sie jedes Mal viel Geduld. Oft drohte alles zu platzen, weil eine Genehmigung verweigert wurde. „Seit wir ein starkes Netzwerk an der Grenze haben, ist es viel leichter, unsere Waren an der Grenze abzuholen“, berichtet sie.

 

Startup mit zwei Standbeinen

Mashharawi liebt Herausforderungen. Doch die wirtschaftliche Not der Familien, bringt auch sie an ihre Grenzen. Um die Not zu bekämpfen führten sie und ihr Team ein soziales Geschäftsmodell ein, das „Sharing is Caring“-Modell. Teilen sich zwei Haushalte eine Solareinheit, müsste es funktionieren, dachten sie. Jeder zahlt 25 Prozent, den Rest gibt Sunbox dazu.

Bald wurde dem Team klar, dass sie ohne ein gewinnorientiertes Standbein finanziell nicht lange durchhalten würden. Das Geld aus dem Crowdfunding würde nicht ewig reichen. Also erdachten sie ein zweites Finanzierungsmodell: Familien, die sich Solaranlagen leisten können, im Gazastreifen ansässige Unternehmen und Organisationen aus dem In- und Ausland zahlen den vollen Preis. Ihnen bietet Sunbox Anlagen mit fünf statt einem Kilowatt an und  verkauft ihnen außerdem Batterien. „Aus diesen Einnahmen schöpfen wir 15 bis 20 Prozent ab und reinvestieren sie in unser „Sharing is Caring“-Modell, erklärt Mashharawi.

 

„Soziale Geschäftsmodelle sind Gazas größte wirtschaftliche Chance“

Eine Verschnaufpause gönnt sich Mashharawi selten. Gerade feilt sie an ihrem Marketing, das über soziale Netzwerke läuft. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass ihr Startup erschwingliche Solargeräte verkauft. Von Gaza aus will Sunbox demnächst ins Westjordanland und vielleicht nach Afrika exportieren. „Mal sehen, was daraus wird“, sagt sie, „wir machen Fortschritte.“

Mashharawi glaubt an den wirtschaftlichen Wandel. Soziale Geschäftsmodelle, das sei in den nächsten Jahren Gazas größte wirtschaftliche Chance. „Nur wir selber können unsere Probleme lösen“, sagt sie. „Ich will die Menschen aufrütteln, eine soziale Bewegung gründen. Doch dafür brauche ich Leute, die so denken wie ich.“

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