Das Museum der Birzeit Universität im Westjordanland schreckt nicht davor zurück, sich kritisch mit dem Wiederaufbau Gazas auseinanderzusetzen. Wie? Das zeigt die Ausstellung „Gaza-Reconstruction“.
Der 20 cm große Zementstein gleich am Eingang des Museums ist nicht zu übersehen. Mit unzähligen glitzernden Kristallen versehen, thront er in der Glasvitrine, wie ein teurer Diamant auf nachtschwarzem Samt. „Dieses Werk widmet der Künstler, der aus Gaza stammt, seinen Landsleuten, die ihre Häuser und Wohnungen durch israelische Luftangriffe verloren haben. Um neue Steine herzustellen, fehlt es den Menschen an Zement. Also hat der Stein eines zerbombten Hauses einen höheren Wert als ein Diamant“, erklärt mir Ramez Fawadla, Ausstellungskoordinator und PR-Manager der Birzeit Universität. Zusammen mit einer weiteren Museumsmitarbeiterin begleitet er mich durch die Ausstellung „Gaza-Reconstruction“.
Auch eine andere Arbeit erzählt von der Realität in Gaza. Auf einem Brett hat derselbe Künstler, sein Name ist Mohamed Abusal, Maurerwerkzeuge – eine Kelle, einen Hammer und Nägel – installiert. Das Ironische daran: Ihre Spitzen sind mit 12 Karat Gold überzogen. Die Werkzeuge versinnbildlichen die Hoffnung auf die ersehnte Nachricht, dass Israel die LKWs mit den Zementladungen passieren lässt, damit sie endlich mit dem Wiederaufbau der kaputten Häuser beginnen können. Sie sollen zeigen, dass Gazas Maurer ihre Werkzeuge wie einen kostbaren Schatz aufbewahren.
Ein Kreislauf aus jahrelanger Zerstörung und Wiederaufbau
Eine Kulturszene gibt es im Westjordanland und in Gaza schon seit längerem. Dass sie obendrein mutig und lebendig ist – trotz Besatzung und Blockade – verblüfft. In „Gaza-Reconstruction“ wagen die Künstler, sich mit der aktuellen Situation in Gaza, aber auch mit der Vergangenheit und dem, was aus Gaza einmal werden soll, kritisch auseinanderzusetzen. Beispielsweise geht es ihnen um die systematische Schwächung der Gesellschaft und das Auslöschen des Widerstandes durch das israelische Militär oder den Aufbau einer neoliberalen Wirtschaft trotz israelischer Blockade. Themen, die der Kreislauf aus jahrelanger Zerstörung Gazas durch Israel und dem Wiederaufbau durch die internationale Staatengemeinschaft hervorbringt.
Aber dem Birzeit Universitätsmuseum geht es noch um weit mehr: „Wir wollen vor allem eine symbolische Verbindung herstellen – unter Palästinensern, die geographisch getrennt im Gazastreifen und im Westjordanland leben. Künstler, Kulturschaffende und Studenten unserer Universität machten diese Arbeit, weil ihnen die Menschen in Gaza sehr am Herzen lagen. Zudem war es für die meisten eine ganz neue Erfahrung, so über Grenzen hinweg zusammen zu arbeiten“, sagt Fawadla.
Konservatives Gaza
Dass die Ausstellung „Gaza-Reconstruction“ sensibles Potenzial besitzt, erfahre ich von Fawadlas Mitarbeiterin, die mich zu einem Modellentwurf führt. Architekten und Soziologen aus Italien arbeiteten ihn zusammen mit palästinensischen Kollegen aus. Es ging ihnen dabei auch darum, optimale Lebens- und Wohnbedingungen zu schaffen, aber vor allem ging es ihnen um eins, nämlich um die ureigensten Bedürfnisse der Bevölkerung in Gaza. Auch der Titel „Return to Gaza“ spielt darauf an. „Die Menschen sind sehr konservativ. Zum Beispiel hatten ihre Häuser immer Räume, die nur für Frauen zugänglich waren. Deshalb waren Schutz und Verletzlichkeit wichtige Kriterien bei diesem Projekt“, berichtet die Mitarbeiterin.
Auch Arafats Hubschrauber schaffte es an die Ausstellungswand des Birzeitmuseums. Der Künstler sammelte Fotos vom Flieger und setzte sie zeitlich geordnet nebeneinander. Dabei untersuchte er, welche Symbolkraft von dem einst weißen Hubschrauber ausging, mit dem Arafat über die palästinensischen Gebiete und nach Gaza, ja, sogar von Gaza aus direkt ins Ausland geflogen war, bis hin zu seiner Zerstörung durch israelische Luftangriffe. 2015 erhielt der zerstörte Hubschrauber zudem neue Brisanz: Die Hamas ließ ihn auf ein meterhohes Stahlgerüst stellen und verpasste ihm einen militärfarbenen Anstrich. Für eine militärische Machtzeremonie ließ sie ihre Kassam-Brigaden vom Hubschrauber aus – bei ohrenbetäubendem Motorengeräusch vom Tonband – abseilen.
Gaza – ein unzugänglicher Ort
Am Rande erzählte Fawadla, dass sich einige Studenten im Rahmen einer Forschungsarbeit für die Ausstellung fragten, wie sie denn eine Region auf dieser Erde untersuchen könnten, die für sie gar nicht zugänglich sei. „Gewiss, dieses Problem machte nicht nur unseren Studenten von der Birzeit Universität zu schaffen. Doch es zeigt, und das ist besonders wichtig, dass sie Problemen nicht aus dem Weg gehen“, sagt Fawadla, der gerne mit den Studenten auf dem Campus zusammensitzt und ebenfalls kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um kritische Auseinandersetzungen geht.