In Ramallah spendet die Erde grüne Energie

Khaled Al Sabawi macht sich im Westjordanland daran, die Energieprobleme umweltfreundlich anzupacken, und sagt den Politikern in Ramallah, was sie nicht hören wollen – ein heikles Unterfangen.

Sie ist quirlig, die Stadt Ramallah mitten im Westjordanland, nördlich von Jerusalem. Obwohl sie reich an Geschichte ist und kulturell immer mehr zu bieten hat, flanieren in den Straßen noch wenige Touristen. Kein Wunder, denn ein riesengroßer Sperrwall aus einem Zaun und grauem Beton, der das Land von Israel trennt, sowie mobile und feste Checkpoints um die Stadt herum wirken nicht gerade einladend. In- und ausländische Organisationen jedoch fühlen sich von Ramallah angezogen, viele davon emotional. Auch Künstler, Filmemacher und Unternehmer entdecken die Vorzüge und die Lässigkeit dieser aufstrebenden Stadt für sich. Appartements, Geschäftshochhäuser und sogar ganze Luxusviertel beginnen hier seit einigen Jahren aus dem Boden zu schießen. Es wird gebaut, gebaut und gebaut, auch anderswo.

Doch dieses Bild hat auch seine Schattenseite. Denn in kaum einem anderen Land im Nahen und Mittleren Osten sind die Preise für Energie so hoch wie in Palästina. Erdöl, Benzin und Erdgas, die zu den wichtigsten und meist eingeführten Gütern zählen, müssen teuer aus Israel importiert werden. Nach Angaben des palästinensischen Zentralamts für Statistik decken sie rund 95 Prozent des gesamten Energiebedarfs. Doch das ist nicht das einzige Problem: Palästina ist auch ein Land mit starkem Bevölkerungswachstum. Der Bedarf an Wohnraum und Energie wächst, aber die Politiker in Ramallah wollen davon nichts wissen.

Ein riesiges Erdwärmepotenzial im Westjordanland

Genau das ist die Sorge des Ingenieurs Khaled Al Sabawi. Er setzt auf erneuerbare Energien, genauer gesagt auf Erdwärme, weil sie unbegrenzt Energie verspricht. Im Westjordanland schlummere ein riesiges Erdwärmepotenzial und die geologischen Bedingungen für Geothermie seien geradezu ideal, versichert er. Dass man mit Geothermie Energie produzieren kann, hat er in Ramallah erfolgreich bewiesen. Experimentiert hat er, damit seine geothermischen Heizungs- und Kühlsysteme noch wirksamer arbeiten. Um den Raum im Bohrloch um die Sonden herum zu verfüllen, verwendet er den beim Bauen anfallenden feinen Kalkstein. Diese Kreislaufwirtschaft hat einen Vorteil: Sie spart auch Kosten.
Technische Experimente und Herausforderungen sind seit über acht Jahren das Geschäft der Energiefirma Al Sabawis, die ihren Sitz in Ramallah hat. Sein Verfahren begeistert im Übrigen auch das Ausland. Etwas verblüfft war Khaled Al Sabawi, als ungewöhnlich freundliche Töne aus Israel kamen. Doch Angst vor dem Wettbewerb kennt er ohnehin nicht. In Jordanien baute er die größte Geothermieanlage des gesamten Mittleren Ostens und Nordafrikas und eröffnete ein weiteres Büro in Amman.

Al Sabawi lernte von Kanadas Geothermieexperten

Nicht nur mit Erdwärme kennt sich Al Sabawi bestens aus. Der 32-Jährige weiß auch viel über Palästina. Er stammt aus einer Familie in Gaza. Seine Eltern flohen zuerst nach Kuwait, wo er geboren ist. Später wanderten sie nach Kanada aus. Dort studierte er Ingenieurwissenschaften und lernte von den kanadischen Geothermieexperten: lauter erstklassige Leute mit jahrelanger Erfahrung auf ihrem Gebiet, wie er gerne betont. In einem liberalen und friedlichen Land wie Kanada aufzuwachsen, empfindet der gebürtige Araber auch heute noch als großes Privileg. Nach Palästina zurückgekehrt ist er aber, weil er etwas in seiner Heimat verändern will. Dass seine Landsleute unter der israelischen Besatzung leiden und wirtschaftlich nicht auf die Beine kommen, beschäftigt ihn schon lange. Überhaupt die Besatzung: Alles drehe sich immer nur um die Besatzung.

Wenn die Hilfsbranche mit irrealen Gehältern lockt

Doch auch er stößt an Grenzen und Mauern, die zum Alltag palästinensischer Wirklichkeit gehören. So bekommt er am eigenen Leib zu spüren, was es heißt, Unternehmer in den von Israel besetzten Gebieten zu sein. Diese sind nicht nur ein Hafen für in- und ausländische Organisationen; sie sind auch ein Hafen, in dem immense Spendengelder aus aller Welt ankommen. An gut ausgebildeten Fachkräften mangelt es dort nicht. Aber was, wenn die Hilfsbranche mit irrealen Gehältern lockt und dabei an nichts außer der Umsetzung ihrer eigenen Vorhaben interessiert ist? So wie Al Sabawi ergeht es vielen palästinensischen Unternehmern, die den wirtschaftlichen Aufbau aufgebläht finden, ja sogar für hinderlich halten.

Repressionen nicht nur gegen Blogger und Journalisten

Auch aus seiner politischen Haltung macht er keinen Hehl, vielleicht oder gerade weil er mit seiner Vision von einem grünen Palästina bei den palästinensischen Behörden auf taube Ohren stößt. Den Politikern gehe es gar nicht so sehr um das palästinensische Volk, sondern vielmehr um das Eigeninteresse, berichtet er. Und das heißt: die eigene Notsituation erhalten. In Interviews und in den sozialen Netzwerken macht er seinem Ärger über Palästinas politische Klasse Luft, geradeso als wüsste er nicht, dass im Westjordanland Journalisten und Blogger mit Repressionen seitens der palästinensischen Polizei rechnen müssen, wenn sie die Miss- und Vetternwirtschaft des aufgeblähten Behördenapparats kritisieren. Die Neigung, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, hat er wohl von seinem Vater. Als der sich nämlich weigerte, anlässlich eines Besuchs des französischen Staatschefs François Hollande in Ramallah sein Grundstück den palästinensischen Sicherheitskräften zur Verfügung zu stellen und zudem noch seinen Unmut über Mahmoud Abbas äußerte, wurde er kurzfristig in Polizeigewahrsam genommen.

In Ramallah spendet die Erde nun seit einigen Jahren Energie, ein Zeichen palästinensischer Wirklichkeit. Vielleicht lassen sich nun auch vermehrt Touristen auf die Stadt mitten im Westjordanland ein. Khaled Al Sabawi bohrt jedenfalls weiter – nicht nur unter der Erde.

 

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