Uralt oder nagelneu? Ein Erdhaus in Jericho

Welche Rolle spielt Palästinas Architekturtradition für die Menschen im Westjordanland? Diese Frage stelle ich mir immer wieder. So auch vor einiger Zeit, als ich ein Foto von einem Erdhaus in Jericho sah, das die Architekten und Architektinnen von Shamsard gebaut hatten.

Bei meinen Begegnungen mit Palästinensern fällt mir eines besonders auf: Sie reden gern über ihre Häuser. Vielleicht, weil die persönliche Bindung zum Haus in der palästinensischen Tradition eine tragende Rolle spielt.

Auch Ahmad Daoud liebt es, über sein Haus zu sprechen. Er freut sich, wenn Passanten, die Jericho besuchen, staunend vor seinem Haus stehenbleiben und ihm Fragen stellen. Ob die Konstruktion denn auch halte, wollen die meisten wissen. Die zeltförmigen Erdhügel, die Daouds Haus sind, sehen aus, als ob sie schon seit Menschengedenken an diesem Platz stehen. Aber das Haus ist nagelneu.

Öko-Häuser und Recyclingmöbel

Daoud ist in einer Umgebung groß geworden, in der die Natur für die Menschen zweitrangig war. In einem Flüchtlingslager, wo kalte Betonhäuser dicht nebeneinander standen. Doch er träumte davon, irgendwann in einem umweltfreundlichen Haus zu leben. Jetzt mit Ende 40 erfüllte er sich diesen Traum.

Für sein nicht alltägliches Bauvorhaben beauftragte er Lina Saleh, Rami Kasbari und Danna Masad. Die stellten gerade ihre Idee für ein eigenes Architekturstudio, das sie Shamsard nannten, in Ramallah auf die Beine. Sie begannen damit, aus unbrauchbaren und weggeworfenen Holz-, Blech- und Plastikteilen Designermöbel zu fertigen: Recycelte Wasserrohre wurden zu Lampenständern, Kochtöpfe zu eleganten Lampenschirmen und Holzpaletten zu bequemen Sitzbänken.

Mit ökologischen Bauweisen hatten sie bis dato wenig zu tun gehabt. Vor allem die alte Lehmziegelbauweise, wie Daoud sie sich vorstellte, war ihnen neu. Doch dessen Traum vom eigenen Ökohaus war für das Shamsard-Team eine Herausforderung in einem Krisengebiet wie Palästina. Und so bauten sie ein „Earthbag-Haus“, ein Erdhaus aus Lehm. Bei diesem Verfahren werden Sandsäcke mit lehmartiger Erde gefüllt und übereinander gestapelt. „Der Lehm wurde vor Ort aus der Natur gewonnen, was die Baukosten deutlich reduzierte“, erzählt Daoud. Ein spezieller Verputz bei dieser Bauweise stabilisiert die Konstruktion. Zudem verhindert dieser, dass sich das Haus im Sommer extrem aufheizt und im Winter zu stark auskühlt. Das ist einer der Gründe, weshalb Daoud weder eine Heizung noch eine Klimaanlage in seinem Haus braucht.

Das Shamsard-Team hat bisher vor allem kleinere Bauprojekte umgesetzt, zum Beispiel Gebäude, die als Bildungs- und Begegnungsstätten dienen. Auch einen botanischen Garten legten sie an. Ihre Auftraggeber sind zum Teil Organisationen, die durch Hilfe aus dem Ausland finanziert werden. An größeren Projekten hätten sie auch Interesse, verraten sie. Doch noch dürfen und können sie nicht wählerisch sein. Derzeit müssen sie so gut wie ohne finanzielle und politische Unterstützung auskommen.

Anreize für eine unabhängige Bauwirtschaft

Dabei könnte gerade ökologisches Bauen der Bauwirtschaft Palästinas zu mehr Unabhängigkeit verhelfen. Zement und andere Baustoffe werden über Israel eingeführt. Die Einfuhrregeln sind streng. Hinzu kommt: Viele Handwerker und Bauarbeiter pendeln täglich nach Israel und arbeiten auf israelischen Baustellen. „Unsere Handwerksbetriebe haben dadurch das Nachsehen“, sagen die Architekten. „Wir wollen eine nachhaltige Bauindustrie bei uns in Palästina aufbauen.“

Uraltes palästinensisches Architekturerbe kehrt zurück

Die Architekten und Architektinnen von Shamsard verwenden neben Lehm und Erde auch Naturstein. Aus diesen Baustoffen fertigten die Menschen in dieser Region schon vor mehr als 5000 Jahren ihre Häuser. Doch durch Flucht, Vertreibung und Kriege sei viel Wissen um die alten Bautraditionen verlorengegangen, klagt Rami Kasbari. Umso mehr freut es ihn und seine Kolleginnen, wenn sie einen Auftrag wie den von Daoud bekommen. Denn mit der Erfüllung seines Traums von einem Erdhaus hat dieser ein Stück uraltes palästinensisches Architekturerbe wiederaufleben lassen.

Ich bin mir sicher: Für ihn und für das Architekten-Team von Shamsard spielen Palästinas Architekturtradition eine wichtige Rolle.

 

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